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Von Bert Rebhandl.

Reichtum des tschechischen Kinos

Ivan Jachim erzählt über Zukunft, Geschichte und Gegenwart der Film- Szene in Tschechien

Bert Rebhandl im Gespräch mit Ivan Jachim, den Direktor des Filmfestivals „Finále Plzeň“, das jährlich die gesamte Produktion von Spielfilmen von Tschechien zeigt, über die Entwicklungen der Szene im Land, deren politische Herkunft sowie privatwirtschaftliche Zusammenhänge.

Das Jahr 1968 gilt als ein entscheidendes Datum in der Nachkriegsgeschichte. Die ganze Welt blickte auf Washington, Paris und Berlin, wo die Studenten gegen den Vietnamkrieg und die Generation von 1945 aufbegehrten. Die Welt blickte aber auch auf Prag, wo die Kommunistische Partei einen „Frühling“ zugelassen hatte, der von den Truppen des Warschauer Pakts kalt beendet wurde. Das tschechoslowakische Kino hatte zu dieser Aufbruchstimmung wesentlich beigetragen.

Regisseure wie Vera Chytilová („Tausendschönchen“) wurden auf internationalen Festivals gefeiert. Eine Konsequenz der Bewegung von 1968 war das Festival Finále Plzeň, das den Versuch unternahm, die „Neue Welle“ des heimischen Kinos auch in der Tschechoslowakei bekannt zu machen. Nach nur drei Jahren wurde Finále Plzeň verboten, erst nach der Samtenen Revolution konnte es 1990 seinen Betrieb wieder aufnehmen.

Welche Funktion es in der neuen tschechischen Filmszene hat, fragten wir Ivan Jachim, den Direktor des Finále Plzeň.
„Seit 1989 hat das Kino in Tschechien den größten Umbruch seit 1945 erlebt. Nach der deutschen Besatzung befürworteten alle die Verstaatlichung, aber der Film kam dadurch unter den Einfluss der Kommunistischen Partei und der ideologischen Autoritäten. Nach 1989 blieb nur ein privater Sektor übrig – und eine einzige zentrale, staatliche Institution zur Förderung der Filmemacher.“

In dieser typischen „postkommunistischen Situation“ wirbt das Finále Plzeň für den Reichtum des tschechischen Kinos, indem es jährlich die gesamte Produktion von Spielfilmen dieses Landes zeigt, und neuerdings auch Dokumentationen in zwei Kategorien: kürzere (unter 30 Minuten Spielzeit) und längere. „Es hängt natürlich von den Produzenten ab, ob sie ihre Filme bei uns zeigen und dem Wettbewerb aussetzen wollen. Aber in der Regel machen alle mit.Zudem organisieren wir Diskussionen, geben einen Überblick über das Studentenfilmschaffen und organisieren historische Programme zu Jahrestagen und Schwerpunkten.“
Die in der Filmgeschichte hoch angesehenen Klassiker der „Neuen Welle“ sind im eigenen Land wenig bekannt, wie Ivan Jachim beklagt. „Die verbotenen Filme der sechziger Jahre tauchen mehr durch Zufall gelegentlich im Fernsehen auf. Gerade deswegen, weil die Generation der in den neunziger Jahren aufgewachsenen Menschen diese Filme nicht mehr kennt, sind sie ein großer Erfolg auf dem Festival.“
Andere große Traditionen des tschechischen Kinos sind ganz abgebrochen. Gibt es Nachfolger für Künstler wie Karel Kachyna, den großen Kinderfilmregisseur?

„Die Industrie für Kinder- und Jugendkino war in den sechziger und siebziger Jahren sehr stark. Unglücklicherweise ist das heute nicht mehr so und die Filme, die auf diesem Gebiet entstehen, sind meistens sehr kommerziell.“
Und was ist mit dem Animationsfilm, dessen altem Meister Jan Švankmajer das Finále Plzeň ein großes Programm gewidmet hat?
„Diese besondere Form der surrealistischen Kunst, wie sie Jan Svankmajer und seine Frau Eva gemacht haben, ist wohl für immer vergangen.Hier gibt es aber noch Entdeckungen zu machen, ich denke etwa an Michaela Pavlátová oder Aurel Klimt.“
Das Herz einer Filmkultur sind jedoch weiterhin die abendfüllenden Spielfilme. Ivan Jachim sieht seine Aufgabe darin, die neuen Talente frühzeitig zu entdecken: „Der Staat unterstützt das Kino sehr unsystematisch. Das hat dazu geführt, dass eine ganze Reihe von Künstlern der mittleren Generation praktisch verschwunden ist.Aber es gibt junge Leute, die einen Film unter den unmöglichsten Bedingungen zustande bringen. Sie und Regisseure, die sich schon zu etablieren vermochten, wie Sasa Gedeon oder Petr Želenka, schaffen echte Autorenfilme.“

Wie in Österreich auch oder in Deutschland ist das Fernsehen an der Filmproduktion wesentlich beteiligt. „Nach der Abwicklung der staatlichen Filmwirtschaft 1990 war es wesentlich das Fernsehen, das zur Rettung des tschechischen Kinos beigetragen hat. In letzter Zeit ist es verstärkt auch das Privatfernsehen, das als Produzent mitmischt. Ein radikal unabhängiges Kino bleibt unter diesen Umständen die Ausnahme.“

Das Finále Plzeň ist ein Festival für die Branche und für das heimische Publikum. Es unterscheidet sich darin von dem internationalen Festival, das jährlich in Karlovy Vary abgehalten wird und den tschechischen Film nur als eine Sektion in seinem international ausgerichteten Programm führt. „Es ist evident, dass wir den besseren Überblick bieten“, hält Ivan Jachim an der Identität des Festivals fest.

„Wir werden auch im kommenden Jahr bei unseren Prinzipien bleiben. Neue Filme müssen sich dieser Auseinandersetzung stellen. Es ist immer wichtig, dass sie auch von internationalen Gästen gesehen werden, die sie einschätzen können, ohne dass sie in unsere Interessengruppierungen verstrickt sind. In Hinkunft wollen wir die mitteleuropäischen Verbindungen verstärken, indem wir interessante Filme aus den Nachbarländern zeigen und Filmemacher von dort einladen.“


Bert Rebhandl lebt als freier Journalist und Autor in Berlin.

Artikel erschienen in: REPORT. Magazin für Kunst und Zivilgesellschaft in
Zentral- und Osteuropa,Oktober 2004



> Link: REPORT online > Link: Festival des tschechischen Films-